Was ich noch sagen wollte
PhilPublica stellt vor
Thomas J. Spiegel
Was stört Sie an der akademischen Philosophie?
Mir geht der prestige bias in der akademischen Philosophie auf die Nerven. Die Philosophie hält sich für die Disziplin, in der stets das bessere Argument zahlt. Leider kommt es häufig darauf an, ob das bessere Argument aus Oxford kommt oder aus Paderborn, aus Princeton oder aus Riga. Wir sollten prestige bias als Problem in unserem akademischen Betrieb endlich angemessen ernst nehmen.
Hilft Expertise in Ethik, ein besserer Mensch zu werden?
Ganz klares Nein. Im Gegenteil sind Ethikprofessor/innen ganz häufig erstaunlich unangenehme Menschen. Das betrifft natürlich nicht alle, aber es ist doch immer wieder auffällig, wie oft man diese Diskrepanz zwischen philosophischem Anspruch und wirklichem Handeln antrifft. Im Gegenteil wissen die moralisch einwandfreiesten Menschen, die ich kenne, überhaupt nichts von ethischer Theorie.
Was würden Sie gern besser können?
Ich bin schlecht im Organisieren. Philosophieprofessor/innen müssen neben Forschung, Lehre und herkömmlicher Büro-Arbeit heute viel ‚managen‘. Ich muss gestehen, dass ich dafür kein Talent habe.
Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach besonders an, wenn man für die Öffentlichkeit schreibt?
Man muss die Komplexität und die Relevanz des Themas vom Laienpublikum her denken. Das ist schmerzhaft offensichtlich, aber viele Philosoph/innen haben Schwierigkeiten damit, über inhaltlich anspruchsvolle Themen mit Personen außerhalb der akademischen peer-group zu besprechen. Das ist auch dem akademischen Betrieb geschuldet, der uns diese Fähigkeit zur Allgemeinverständlichkeit mit den Jahren abtrainiert.
Welche philosophische Auffassung/welche Theorie versetzt Sie in Rage?
Der Utilitarismus ist meiner Ansicht nach eine unterdurchschnittlich gut begründete Idee, die ihre Prominenz nicht verdient hat. Ich vermute stark, dass die Beliebtheit des Utilitarismus eng zusammenhängt mit der politischen und kulturellen Vormachtstellung angelsächsischer und angloamerikanischer Kultur in der akademischen Welt. In anderen Worten: Mir scheint die automatische Präferenz für den Utilitarismus, die viele teilen, eher durch ihren sozio-kulturellen Hintergrund begründet zu sein als wirklich durch vorurteilsfreie Überlegungen.
Was sollten mehr Menschen über Philosophie wissen?
Philosophie ist eine Disziplin mit Themen, die uns alle als Menschen angehen. Jedoch lässt sich nicht automatisch bei philosophischen Diskussionen ohne angemessenen Wissenshintergrund mitdiskutieren. Das bringt uns vor ein Problem: Philosophische Themen sind Bestandteil vieler gesellschaftlicher Debatten, die alle betreffen, benötigen jedoch einen vergleichsweise hohen Kenntnisstand, den unmöglich alle haben können. Damit sind wir in der unangenehmen Lage, dass viele gesellschaftliche Fragen eigentlich Expertenwissen von allen verlangen, aber natürlich nicht alle Expert/innen sein können. Eine philosophische Expertokratie hat letzten Endes jedoch antidemokratische Tendenzen, die wir vermeiden sollten.
Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?
Das Kapital von Marx und Bourdieus Die feinen Unterschiede.
Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben?
Als Bachelor-Student war ich Wahrheitsrelativist. Das ist mir sehr peinlich, wenn ich daran zurückdenke. Heute sage ich meinen Studierenden zu Beginn des Studiums, dass Relativismus die Kinderkrankheit der Philosophie ist.
Hat Ihre philosophische Tätigkeit verändert, wie Sie im Alltag handeln?
Nein, andersrum: Mein Alltagshandeln informiert immer mein philosophisches Schreiben.