Was ich noch sagen wollte
PhilPublica stellt vor

Paula Keller
Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie?
Manchmal denke ich, der kommt erst noch. Ich habe jedenfalls noch nicht herausgefunden, was Philosophie ist.
Das muss man ja auch nicht wissen, um sich philosophische Fragen zu stellen.
Genau. Fragen, die gängigerweise als philosophische Fragen gelten, kamen eher zufällig und ich ging sie ziemlich seltsam an: Einmal schien es mir zum Beispiel irgendwie zum Teenager-Seins zu gehören, dass man frei und unabhängig ist. Also schaute ich in einem Lexikon nach, was Freiheit ist.
Woran arbeiten Sie gerade?
An einer Reihe von Aufsätzen, die alle versuchen, mit Mitteln der analytischen Philosophie etwas zu ergründen, das lange ein Thema der kontinentalen Philosophie war: Sozialkritik. Wie kann die Kritik der existierenden sozialen, politischen, und ökonomischen Verhältnisse funktionieren?
Was kann denn die Philosophie da zur Klärung beitragen?
Mich interessieren insbesondere konkrete Hilfsmittel der Kritik: zum Beispiel Genealogie oder Utopie. Wie kann aus der Vergangenheit eine Kritik der Gegenwart folgen? Das ist das Rätsel der genealogischen Methode, wie sie zum Beispiel Nietzsche anwendet. Und was meint Utopie? Kann es die Utopie geben, können wir uns sie vorstellen, sollte sich unser politisches Handeln an ihr orientieren? Ein anderes Mittel der Sozialkritik ist der Begriff des Fortschritts.
Sie haben kürzlich eine Rezension des neuen Buchs von Thomas Nagel zu moralischem Fortschritt veröffentlicht. Laut Nagel besteht moralischer Fortschritt in der Anwendung von Gründen. Sie finden das etwas verkürzt?
Ja, ich habe versucht, einen Raum für Gefühle in einer Theorie von moralischem Fortschritt zu finden. Ich zitiere da Marx. Er sagt, Sklaverei sei abgeschmackt – das ist eher ein Bauchgefühl, ein ‘Bäh!’. Marx’ Ablehnung basiert nicht auf einem Grund, den die Vernunft liefert, wie etwa die Gleichheit aller Menschen. Oder ein anderes Beispiel – ich habe es von Cora Diamond, die es wiederum Elizabeth Anscombe zuschreibt: Wir begraben unsere Toten, statt sie auf die Straße zu werfen, damit sie von der Müllabfuhr abgeholt werden. Auch hier ist es kein allgemeiner Grundsatz, der das gebietet, sondern ein Unbehagen, das wir bei dem Gedanken an menschlichen Müll verspüren.
Die beiden Beispiele sollen also moralischen Fortschritt dokumentieren?
Die Beispiele sind erst einmal Beschreibungen von moralischer Motivation – davon, was uns motiviert zu handeln. Aber dann stellt sich die Frage nach dem moralischen Fortschritt: Ist Handeln nach einem Gefühl immer gut oder fortschrittlich, so wie für Nagel Handeln nach einem moralischen Grund fortschrittlich ist? Es könnte ja auch niedere Gefühle geben – Hass, Neid, Rachsucht –, die unser Handeln in die ganz falsche Richtung steuern. Man würde sagen: Danach zu handeln ist doch nicht fortschrittlich!
Darum sagen ja viele Ethiker, dass Gefühle ein schlechter Ratgeber sind.
Ich weiß. Aber das geht mir zu schnell. Wenn einige Gefühle schlechte Ratgeber sind, wie kann man eine Theorie moralischen Fortschritts bauen, die Gefühle trotzdem einbezieht? Braucht man am Ende doch Nagels Upgraden von Gefühlen zu vernünftigen Gründen? Oder kann man irgendwie bessere, reinere Gefühle von hässlicheren Gefühlen unterscheiden, wobei nur die besseren Gefühle moralischen Fortschritt befördern? Aber wie ginge diese Unterscheidung, ohne auf Gründe zu rekurrieren? Das sind erst einmal eine Reihe von Fragen, die mich interessieren.
Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach besonders an, wenn man für die Öffentlichkeit schreibt?
Auf etwas, auf dass es auch bei akademischen Texten mehr ankommen sollte: dass der*die Leser*in sich nicht dem Ende entgegensehnt.
Was stört Sie an der akademischen Philosophie?
Mir scheint, dass viel von dem, was aktuell geschrieben wird, wohletablierte Debatten zu relativ spezifischen Fragen in detailverliebten Schritten weiterführt. Man kann diese Gründlichkeit loben. Aber vieles davon finde ich ziemlich langweilig. Ich würde mir wünschen, dass Philosophie wieder mehr Mut hat, neue Fragen aufzuwerfen.
A propos Detailverliebtheit: Warum ist Philosophie so kompliziert?
Ja, wie kann das sein, wo wir sie uns doch selbst ausgedacht haben? Wir haben ja typischerweise noch nicht einmal Empirie, die alles kompliziert machen könnte. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, denke ich aber, dass Philosophie eher dann kompliziert ist, wenn man sich auf einem Holzweg befindet. Gute Philosophie ist oft erschreckend einfach.
Welchen Rat hätten Sie gern zu Beginn Ihrer Laufbahn erhalten?
Ich hätte gern früher gewusst, dass man oft erst sehr viele, sehr komplizierte Entwürfe schreiben muss, um diese erschreckend einfache Philosophie selbst zu produzieren.. Abkürzungen gibt es da nicht, nur als Abkürzung getarnte Notausgänge.
Was spricht gegen Philosophenkönige?
Nicht nur alles, was gegen Könige spricht. Sondern auch noch die Hybris des Philosophen zu denken, er könnte es besser als andere. Da hatte Platon schon recht: Ein Maler kann Liegen gut malen, sie aber nicht gut zimmern.