Was ich noch sagen woll­te

Phil­Pu­bli­ca stellt vor

Titelbild: Marina Martinez Mateo

Ma­ri­na Mar­ti­nez Mateo

Pro­fes­so­rin für Phi­lo­so­phie an der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Mün­chen

Wel­chen Rat hät­ten Sie gern zu Be­ginn Ihrer Lauf­bahn er­hal­ten?

Als ich vol­ler Ta­ten­drang mit mei­ner Dis­ser­ta­ti­on be­gann, hätte ich gerne je­man­den ge­habt, die oder der mir sagt, wie viel Mut und Stur­heit es braucht, um sich über meh­re­re Jahre hin­weg mit einem Ge­dan­ken aus­ein­an­der­zu­set­zen, den man sich ein­mal (aus wel­chen Grün­den auch immer) in den Kopf ge­setzt hat. Man ver­gisst ja lei­der allzu schnell, warum man sich ei­gent­lich so si­cher war, dass so ein Ge­dan­ke in­ter­es­sant oder auch nur in ir­gend­ei­ner Weise wich­tig sein könn­te.

Und das hätte Ihnen je­mand an­ders sagen kön­nen?

Wahr­schein­lich nicht. Ich hätte ein­fach gern frü­her ge­wusst, dass einen nie­mand bei der Hand nimmt und ver­si­chert, dass das schon alles rich­tig so ist, wie man es macht. Es er­klärt einem ja nie­mand, was man tun muss, um ins Den­ken und Schrei­ben zu kom­men, son­dern man muss alles selbst her­aus­fin­den und sich selbst auf­bau­en.

Was würden Sie gern bes­ser kön­nen?

Das Wich­ti­ge vom Un­wich­ti­gen un­ter­schei­den und ent­spre­chend Prio­ri­tä­ten set­zen. Ich würde gern meine ei­ge­nen zeit­li­chen Res­sour­cen bes­ser über­bli­cken und mir für all meine phi­lo­so­phi­schen Tä­tig­kei­ten (Lesen, Schrei­ben, Dis­ku­tie­ren, Leh­ren …) deut­lich mehr Zeit neh­men.

In wel­cher Um­ge­bung kön­nen Sie am bes­ten phi­lo­so­phie­ren?

Ich glau­be, es gibt für jede Phase phi­lo­so­phi­schen Ar­bei­tens un­ter­schied­li­che idea­le Um­ge­bun­gen: Zum Schrei­ben habe ich am liebs­ten (mög­lichst) ab­so­lu­te Zu­rück­ge­zo­gen­heit. Um das erste Ka­pi­tel mei­ner Dis­ser­ta­ti­on zu schrei­ben, bin ich für zwei Wo­chen ver­reist und habe jen­seits der täg­li­chen Kaf­fee­be­stel­lung mit nie­man­dem ge­spro­chen – das war per­fekt. Für den Schritt vom Schrei­ben ins Re­di­gie­ren braucht es aber un­be­dingt auch Pha­sen des Aus­tauschs und der Dis­kus­si­on. Dies setzt für mich ein ver­trau­ens­vol­les Um­feld mit eben­so zu­ge­wand­ten wie scho­nungs­lo­sen Kri­ti­ker:innen vor­aus, die alles aus­ein­an­der­neh­men, was ich ge­schrie­ben habe, und den­noch zu mir hal­ten.

Ist es für Ihr Den­ken wich­tig, ver­schie­de­ne Spra­chen zu spre­chen?

Auch wenn ich na­he­zu aus­schließ­lich auf Deutsch denke und am liebs­ten nur auf Deutsch schrei­ben würde, ist es für mein Den­ken si­cher wich­tig, dass ich mehr­spra­chig auf­ge­wach­sen bin, denn das hat mei­nen Blick ge­prägt – so­wohl für die Brü­chig­keit von Spra­che und die Frag­lich­keit von Be­grif­fen als auch für die Un­ein­deu­tig­keit von Iden­ti­tä­ten und Zu­ge­hö­rig­kei­ten.

Wenn Sie Zeit hät­ten, ein Buch zu schrei­ben, wor­über wür­den Sie schrei­ben?

Seit mei­nem Stu­di­um möch­te ich ein po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­ches Buch über „Die Bö­se­wich­ter der Phi­lo­so­phie­ge­schich­te“ schrei­ben, in dem ich sol­che Phi­lo­so­phen vor­stel­le und dis­ku­tie­re, die als „böse“ in die Phi­lo­so­phie­ge­schich­te ein­ge­gan­gen sind. Ich würde in die­sem Buch gern er­läu­tern, was an ihnen tat­säch­lich böse oder ge­fähr­lich oder mo­ra­lisch frag­wür­dig ist – und warum es ge­winn­brin­gend sein kann, sie den­noch zu lesen.

Ver­ra­ten Sie uns schon ein­mal ei­ni­ge Namen?

Naja, na­he­lie­gend wären na­tür­lich etwa Ma­chia­vel­li, Hob­bes, Schmitt, viel­leicht auch Man­de­ville . . . Die Frage, wen man in eine sol­che Liste auf­nimmt, müss­te aber na­tür­lich selbst Teil der Aus­ein­an­der­set­zung sein.

Was stört Sie an der aka­de­mi­schen Phi­lo­so­phie?

An der aka­de­mi­schen Phi­lo­so­phie stört mich, dass sie häu­fig steif an ihren Grenz­zie­hun­gen fest­hält und sorg­sam zu sor­tie­ren ver­sucht, was echte Phi­lo­so­phie ist und was nicht. Au­ßer­dem stört mich, dass so viel an der Welt vor­bei dis­ku­tiert wird – selbst dann, wenn po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­lich drän­gen­de Fra­gen im Zen­trum zu ste­hen schei­nen.

Worin sehen Sie denn die ge­sell­schaft­li­che Rolle der Phi­lo­so­phie?

Ich denke, dass es der Phi­lo­so­phie darum gehen soll­te, in Dis­kus­sio­nen und Kri­sen der Ge­gen­wart Ori­en­tie­rung zu bie­ten. Nicht indem sie sagt (bzw. wir sagen), was man den­ken soll, son­dern indem sie dazu bei­tra­gen kann, die po­li­ti­sche Ur­teils­kraft zu schär­fen. Dazu kann eine ge­wis­se Di­stanz zum po­li­ti­schen Ge­sche­hen und öf­fent­li­chen Dis­kus­sio­nen durch­aus hilf­reich sein, ohne aber sich in einen Be­reich rei­nen Den­kens zu­rück­zu­zie­hen. Viel­mehr ginge es darum, sich aus der Di­stan­zie­rung her­aus wie­der re­flek­tie­rend der Welt zu­zu­wen­den.

Warum schrei­ben Sie für die au­ßer­aka­de­mi­sche Öf­fent­lich­keit?

Aus genau die­sem Grund scheint es mir wich­tig, sich auch au­ßer­halb des aka­de­mi­schen Rah­mens und jen­seits rein aka­de­mi­scher De­bat­ten und The­men phi­lo­so­phisch zu äu­ßern. Das er­for­dert al­ler­dings, eine Spra­che zu wäh­len, die auch au­ßer­halb des Aka­de­mi­schen zu­gäng­lich ist. Zu­gleich darf man da­durch nicht die Kom­ple­xi­tät und Viel­schich­tig­keit phi­lo­so­phi­scher Ar­gu­men­ta­ti­on auf­ge­ben.

Wor­auf in der Zu­kunft sind Sie am meis­ten ge­spannt?

„Ge­spannt“ ist of­fen­bar ein Eu­phe­mis­mus, aber ich frage mich, als wie ak­tu­ell sich Han­nah Arendts Ur­teil über die In­tel­lek­tu­el­len er­wei­sen wird, dass sie sich „so­zu­sa­gen zu jeder Sache etwas ein­fal­len las­sen“: „Zu Hit­ler fiel ihnen was ein; und zum Teil un­ge­heu­er in­ter­es­san­te Dinge! Ganz phan­tas­ti­sche und in­ter­es­san­te und kom­pli­zier­te! Und hoch über dem ge­wöhn­li­chen Ni­veau schwe­ben­de Dinge! […] Sie gin­gen ihren ei­ge­nen Ein­fäl­len in die Falle“.

Karl Kraus schrieb 1933: „Mir fällt zu Hit­ler nichts ein.“ Er ent­ging also Arendts Sar­kas­mus. Wor­auf wol­len Sie hin­aus: dass die In­tel­lek­tu­el­len zu Putin, Trump, Elon Musk bes­ser schwei­gen oder dass sie dabei nicht nach ori­gi­nel­len Ein­fäl­len stre­ben soll­ten?

Nein, schwei­gen nicht! Viel­mehr, denke ich, soll­ten wir Po­si­ti­on be­zie­hen und uns fra­gen, wor­auf wir mit un­se­rer phi­lo­so­phi­schen Tä­tig­keit ei­gent­lich hin­aus­wol­len und was deren Kon­se­quen­zen in der Welt sein kön­nen, an­statt uns zu sehr in un­se­rer ei­ge­nen Ori­gi­na­li­tät zu ge­fal­len.

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