Was ich noch sagen wollte

PhilPublica stellt vor

Titelbild: Daniel Loick

Daniel Loick

Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Amsterdam

Was war Ihr erster Kontakt mit der Philosophie? 

Mit ca. 13 Jahren an einem Freitagmittag. Da lief im ZDF Raumschiff Enterprise, wo regelmäßig philosophische Themen behandelt werden: Was ist Realität? Darf man sich in die internen Konflikte anderer Zivilisationen einmischen? Haben Androiden Menschenrechte? 

Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert? 

Lebensverändernd sind nie einzelne Heilige Schriften, sondern immer Konstellationen unterschiedlicher Texte, die miteinander im Streit liegen. Für mich waren das in verschiedenen Lebensjahren und -lagen unter anderem: Marx‘ „Kapital“, Adornos „Minima Moralia“, Butlers „Unbehagen der Geschlechter“, Hegels „Rechtsphilosophie“, Benjamins „Kritik der Gewalt“, Browns „States of Injury“, Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ und zuletzt Saidiya Hartmans „Scenes of Subjection“. 

Welches philosophische Thema wird am meisten überschätzt?

In meiner Welt: ob man Kritik am besten mit Kant oder mit Hegel begründen kann.

Welche/r Philosoph/in sollte mehr gelesen werden? 

Die neue Generation kritischer Theoretikerinnen, die Philosophie als ein interdisziplinäres, kollektiv betriebenes und politisch eingreifendes Projekt verstehen (und von denen viele nicht in der akademischen Philosophie verortet sind): Bini Adamczak, Jeanette Ehrmann, Katharina Hoppe, Marina Martinez, Francesca Raimondi, Vanessa Thompson, Eva von Redecker und so viele mehr. 

Was stört Sie an der akademischen Philosophie? 

In allen deutschen Philosophieinstituten gibt es Leute, zu deren Grundüberzeugungen es zum Beispiel gehört, dass der Mensch als ein Zweck an sich selbst behandelt werden muss, eine unantastbare Würde hat, Träger unveräußerlicher Rechte ist, etc. Warum folgt aus diesen Überzeugungen so wenig? Warum treffe ich bei Demonstrationen gegen die Zustände in den europäischen Internierungslagern auf Lesbos oder die Kriminalisierung der Seenotrettung so wenige meiner Kolleg*innen? 

Ist es immer gut, vernünftig zu sein? 

Nein.

Warum schreiben Sie für die außerakademische Öffentlichkeit? 

Die akademische Öffentlichkeit hat die Welt nur verschieden interpretiert. Es kömmt darauf an, sie zu verändern. 

Welche philosophische Auffassung, von der Sie einmal überzeugt waren, haben Sie aufgegeben? 

Bis vor kurzem dachte ich, man könne die zentralen Themen der Rechtsphilosophie – Staat, Recht, Eigentum – zunächst „allgemein“ beschreiben und sie dann in einem zweiten Schritt hinsichtlich ihrer Auswirkungen zum Beispiel auf die Geschlechterverhältnisse oder den Rassismus untersuchen. Heute glaube ich, man muss diese Strukturen direkt von ihren konkreten, historischen und ausdifferenzierten Funktionsweisen her erschließen. 

Welche Musik soll auf Ihrer Beerdigung gespielt werden? 

Die Top 5 Beerdigungslieder aller meiner Freund*innen. 

Was ich noch sagen wollte:

Es ist okay,
– Hegel nicht zu verstehen,
– eine Oper, eine griechische Tragödie oder die letzte Debatte im ZEIT-Feuilleton nicht zu kennen, 
– nie Luhmann gelesen zu haben, 
– beim Vorstellungsgespräch Klamotten von H&M zu tragen, 
– am Wochenende keine Emails zu beantworten,
– beim Dinner keinen Alkohol zu trinken,
– instabiles Internet zu haben,
– traurig zu sein.
 

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