Was ich noch sagen wollte

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Titelbild: Barbara Bleisch

Barbara Bleisch

Philosophin, Autorin, Moderatorin der „Sternstunde Philosophie“ des SRF

Welcher philosophische Text hat Ihr Leben verändert?

Peter Singers „Praktische Ethik“. Ich hatte in den vorher besuchten Philosophie-Veranstaltungen über Schelling, Heidegger und Derrida nicht viel verstanden und war unsicher, ob dieses Studium etwas für mich war. Hier schrieb jemand glasklar über Fragen, die mich etwas angingen. Viele Positionen fand ich irritierend – aber gerade deshalb war meine Neugier entfacht. Sodass ich später zu den vorher Unverstandenen zurückkehren konnte.

Würden Sie Ihren Kindern dazu raten, Philosophie zu studieren?

Ich rate meinen Kindern generell nicht besonders viel. Muss man im Leben nicht das meiste selbst erkunden? Ich habe auch für mich selbst selten Pläne gemacht, sondern meistens leidenschaftlich verfolgt, was mich interessierte. In der Philosophie bin ich aus Gründen der Leidenschaft hängengeblieben. Wenn meine Kinder Lust auf diese Studienwahl haben, freue ich mich.

Warum ist Philosophie so kompliziert?

Weil sie so genau ist. Deshalb liebe ich sie auch so. Genauigkeit oder auch Sorgfalt im Denken ist die einzige Waffe gegen die „terribles simplificateurs“, vor denen Jacob Burckhardt schon Ende des 19. Jahrhunderts warnte und die immer noch ihr Unwesen treiben.

Welche/r Philosoph/in sollte mehr gelesen werden?

Ich zögere, eine generelle Antwort zu geben. Sollten wir – nebst den üblichen Klassikern – nicht alle lesen, was uns produktiv irritiert und auf neue Denkwege führt? In meinem Fall beispielsweise Iris Murdoch und Simone Weil, die ich gerade entdecke. Ich finde außerdem Edith Steins frühe phänomenologische Arbeit unterschätzt.

Hilft Expertise in Ethik, ein besserer Mensch zu werden?

Leider nein. Die Frage hat mich im Studium schon interessiert, weshalb ich mit Christoph Ammann und Anna Goppel als Studentin einen Band herausgegeben zur Frage „Müssen Ethiker moralisch sein?“

Welche philosophische Theorie versetzt Sie in Rage?

Einige extreme Varianten des Longtermism. Wenn sich philosophische Institute von Elon Musk sponsern lassen und dessen Ansicht teilen, dass wir die Bekämpfung extremer Armut oder der Klimakrise vernachlässigen sollten, um mehr Mittel für den Kampf gegen eine bösartige KI zur Verfügung zu haben, werde ich, gelinde gesagt, produktiv herausgefordert. Insofern hat sogar diese Theorie vielleicht ihr Gutes.

Welches war die beste Literaturempfehlung, die Sie je bekommen haben?

Der Hinweis auf Odo Marquard. Man begegnet ihm nicht im Studium, es brauchte also den Hinweis von außen. Auch wenn er keine eigene Philosophie vorgelegt hat und einige seiner Texte ins Konservative kippen, finde ich seine Essays immer wieder inspirierend.

Wie stehen Sie zu philosophischen Kalendersprüchen?

Kommt drauf an, was man darunter versteht. Postkarten mit flapsigen Sprüchen drauf finde ich oft großartig. Über viele kann man sich wunderbar streiten. Zum Beispiel darüber: „Darf man fremden Leuten eigentlich Fragen stellen, nachdem sie im Bus telefoniert haben und einem noch etwas unklar ist?"

Ihr philosophisches guilty pleasure?

Die Mini-Heaps auf der Plattform Daily Nous. Ich kann mich in den Links vollkommen verlieren und schon wieder ist eine Stunde um.

Was fänden Sie schlimmer: nie wieder schreiben oder nie wieder diskutieren zu können?

Wie kann man schreiben, ohne zu diskutieren? Philosophie ist wesentlich ein (Selbst)Gespräch. Wenn die Frage lautet, ob ich lieber meine mündliche oder schriftliche Ausdrucksweise verlöre, dann wohl die mündliche. Dann könnte ich zwar auch keine „Sternstunden“ mehr moderieren, aber ich brauche das Schreiben, um klar denken zu können.

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